Einstieg in die Festkörperelektronik
Von Jan Buiting (Elektor)
Electronica wereld (auf Deutsch: Elektronik-Welt, kurz E w) war der Vorläufer der niederländischen Elektuur, die später in Elektor umbenannt und international in vielen weiteren Sprachen verbreitet wurde. Da ich mit der direkten und viel älteren Konkurrenzzeitschrift Radio Bulletin aufgewachsen bin, habe ich erst um das Jahr 1982 angefangen, Elektuur zu lesen, und dann auch nur die „Halbleiterhefte“, die ich mir als Student leisten konnte und für die ich 50 km mit dem Bus fahren musste, um meine Ausgabe zu bekommen. Bis zu diesem Tag hatte ich wenig Interesse, die frühen Elektuur/Elektor-Ausgaben zu lesen, und ich war mir nur vage über die eher „wilden“ Ursprünge der Zeitschrift in Amsterdam während des Kalten Krieges und der Hippie-Jahre bewusst, als die Elektronik in Europa boomte.
Als mir zufällig ein Exemplar von Elecronica wereld aus den 1960er Jahren in die Hände fiel, machte mir als erstes der starke, argumentative Schreibstil Einduck, der hauptsächlich vom Gründer und Einzelkämpfer Bob W. van der Horst von seinem Haus in Amsterdam aus gepflegt wurde. Die Auseinandersetzungen und Debatten in seinem kleinen Pamphlet (das er persönlich auf einem Fahrrad an seine Abonnenten in Amsterdam und Umgebung auslieferte) drehten sich oft um den Vergleich der klassischen Elektronik zu modernen Bauteilen. Wenig überraschend bedeutete dies: die etablierte Elektronenröhre gegen den Newcomer, den Transistor.
Wenn man diese alten Hefte durchblättert, kann man van der Horst Vorliebe für moderne, wenn nicht gar avantgardistische Technik kaum leugnen. Er verdeutlicht stets die große Kluft zwischen der althergebrachten „Hollow-State“- und „Solid-State“-Technologie, denn sonst würde seine Zeitschrift nicht anlaufen.
Wenn Sie Niederländisch lesen können, werden Sie feststellen, dass van der Horst und sein frühes Redaktionsteam die Dinge im Vergleich zu den etablierten, anspruchsvollen Konkurrenten in Holland wie Radio Bulletin und Electronica äußerst „populär“ ausdrückten. Dies beschränkte sich allerdings auf den redaktionellen Teil und die Bauartikel - die Berichte über die Entwicklungen in der Elektronikindustrie und der Forschung sind eher formalen gehalten und hielten sich deutlich an die Mitteilungen der Pressebüros der Hersteller und an ausländische (hauptsächlich englische und amerikanische) Zeitschriften, einschließlich Amateurfunk-Publikationen wie ARRL (USA) und RSGB (Großbritannien). Im Nachhinein betrachtet waren viele Artikel in der Electronica Wereld bestenfalls grob gestrickt, voller offener Enden und offensichtlicher Fehler, aber sie verleiteten ein Publikum, das der traditionellen, stark röhrenorientierten Lehrbuch-Elektronik kritisch gegenüberstand, zum Experimentieren und Verbessern.
Frühe Elektor-Ausgaben
Um die oben genannten Punkte zu untermauern und zu illustrieren sowie Bob van der Horsts wahrhaftig wagemutigen Pioniergeist zu würdigen, gibt es nichts Besseres, als ein paar eher zufällig ausgewählte Beispiele aus dem ersten, nur in den Niederlanden erschienenen Elektor-Jahrzehnt (1961-1969) zu zeigen.
Den Röhrenverteilerverstärker besiegen?
Die Ausgabe 1962-9 von E w enthielt einen Artikel über die ersten, eher vagen Ideen zur Einführung von „Wired TV“ (also Kabelfernsehen) in Den Haag. Das System wurde CAS (Central Antenna System) genannt. Die ersten Versuche wurden von der niederländischen PTT (Post, Telegrafie und Telefonie) geleitet. Der offensichtliche Flaschenhals war die Dämpfung von Breitband-HF-Signalen auf dem gut 25 km langen Koaxialkabel, das für den Anschluss von etwa 5000 Haushalten benötigt wurde. Ein Verteilverstärker (DA) mit Röhren schien ein guter Kandidat zur Lösung des Problems zu sein, da er (1) ein hohes Verstärkungs/Bandbreite-Produkt (GBW) aufwies, (2) ein ausreichendes GBW auch beim Ausfall einer Röhre bietet, sowie (3) eine geringe Störstrahlung und (4) eine geringe Kreuzmodulation vereint. Der Plan der PTT war es, für jeden fünften Teilnehmer einen solchen Verstärker zu installieren - die niederländischen Röhrenlieferanten und -händler müssen sich die Hände gerieben haben!
Warum der Verteilverstärker? Ein Beispiel: Seine Gesamtverstärkung beträgt 16 bei vier Röhren mit einer jeweiligen Verstärkung von 4. Selbst wenn die Röhren mit zum Beispiel G = 0,8 dämpfen, beträgt die Gesamtverstärkung immer noch 4 × 0,8 = 3,2, was den Verteilverstärker von einem „herkömmlichen“ Verstärker unterscheidet.
Der Artikel schließt mit der gut begründeten Feststellung, dass transistorisierte Verteilverstärker dem Röhrenkonzept wahrscheinlich bald den Rang ablaufen würden, da Transistoren erstens mit der (niedrigen) Spannung einer Telefonleitung betrieben werden können und zweitens eine längere Lebensdauer aufweisen als ihre Röhrenvorgänger. Der Frequenzbereich, die Kosten und die Anfälligkeit der relativ neuen Halbleiter für Spannungsspitzen wurde allerdings außenvor gelassen.
Einröhren-Walkie-Talkie
Aus der E w-Ausgabe 1962-6 stammt diese „Skizze“ für ein Walkie-Talkie, das im 2-Meter-Amateurfunkband (144 Mhz) arbeitet. Interessanterweise beginnt der Artikel mit der Feststellung, dass „ähnliche Entwürfe mit Transistoren gescheitert sind“. Wie, wann und warum wird nicht klar.
Die von E w vorgeschlagene Röhre ist ein „professioneller“ Typ 5676 von Telefunken (ein wichtiger Anzeigenkunde der Zeitschrift). Die 5676 allein soll „nur 7,50 Gulden“ gekostet haben, was für einen durchschnittlichen Jugendlichen in Holland im Jahre 1962 etwa drei Wochen Taschengeld bedeutete. Aber hey, das war doch auch eine „Profi-Röhre“ mit direkter Heizung und extrem niedriger Mikrophonie!
Der Entwurf ist minimalistisch und besteht aus einer 90-V- oder 135-V-Batterie für die Anodenspannung (B1) und zwei weiteren Batterien, B2 (9 V) und B3 (1,5 V) für die Versorgung des Kohlemikrofons und des Glühwendels. Im „Hörmodus“ arbeitet die 5676-Röhre im Superregenerativ-Modus. Das Walkie-Talkies sollte mit einer 135-V-Batterie einen Umkreis von etwa 3 km abdecken. Im Sendebetrieb ist es nicht mehr als ein freilaufender Oszillator mit etwas Modulation. Die Schaltungszeichnung zeigt einen cleveren Trick für den Push-to-Talk-Schalter - können Sie ihn entdecken?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Funkamateure und andere Nutzer des 144-MHz-Amateurbandes eine Kommunikation zwischen zwei dieser Walkie-Talkies in ihrer Nachbarschaft sehr zu schätzen wussten. Die Stabilität, die Störstrahlung und die AM/FM-Mischmodulation müssen schrecklich gewesen sein und ausreichen, um DX-Stationen vollständig auszulöschen. Dennoch zeigt das Projekt, was man mit nur einer Telefunken-Röhre alles erreichen kann!
Fensterdiskriminator für Ärmste
Lange bevor die berühmten Halbleiterheft-Schaltungen in Elektor erschienen, hatte E w die Angewohnheit, „Notlösungen“ zu veröffentlichen, die wirklich nur dazu dienten, die „weißen“ Stellen der Heftseiten zu füllen. Die Anteile der Hater und Liebhaber dieser „electronics telegrams“ lagen bis zum Ende der Halbleiterhefte im Jahr2015 bei fifty/fifty.
Zurück ins Jahr 1963: Zwei Neonlämpchen sind als zwei Arme einer Brückenschaltung angeschlossen, die anderen Arme sind Widerstände. Die Schaltung lässt die Eingangsspannung erst durch, wenn ein bestimmter Pegel überschritten wird. Dieser Pegel - so lernen wir - wird mit „R“ definiert. Berechnungen für R und Hysterese? Das müssen Sie selbst herausfinden.
Transistor-PDM-Verstärker
Die Ausgabe vom Mai 1965 war vollgestopft mit einer umfangreichen Übersicht und einem Vergleich der auf dem Markt befindlichen kommerziellen Oszilloskope, die Dutzende von Seiten umfasste. Obwohl sich der Überblick große Mühe gab, die Bedeutung und Dominanz von Transistoren in den getesteten Geräten hervorzuheben, war zumindest eine, die Kathodenstrahlröhre, in allen Oszilloskopen unübersehbar. In einigen „Profi“-Geräten beherrschten Röhren auch die Hochspannungswahl.
Als Mitte der 60er Jahre die Zeitschrift in Elektuur umbenannt wurde und der Transistor in den Artikeln dominierte, bliebt die Röhre aber als „Skelett im Schrank“, wenn auch nur zu Vergleichszwecken. Nehmen wir den großen Artikel über einen 10-Watt-Pulsdauermodulationsverstärker (PDM) in der Ausgabe 1965-5. PDM-Verstärker haben eine lange Tradition in der Röhrentechnik, aber hier erfahren wir, dass eine Halbleiterversion gebaut werden kann, die fast HiFi ist und trotzdem leicht, weil keine Kühlkörper erforderlich sind! Der springende Punkt, den wir inzwischen alle kennen, ist, dass Transistoren im Vergleich zu Röhren (fast) ideale Schalter sind, und diese Tatsache wird damals in einem revolutionären Design gepriesen und voll ausgenutzt.
Einige der in der Stückliste vorgeschlagenen Transistoren wie der BFY40 waren aus Silizium und für die Leser dieser Zeit „schnell und skurril“. Glücklicherweise waren die meisten der anderen Transistoren in dem Projekt die guten alten AC12x und die (in den Niederlanden entwickelten!) Germanium-Typen OC7x/OC17x, neben einigen 2SAxx aus Japan. Auch in späteren Jahren war Elektor berüchtigt für die hartnäckige Verwendung seltsamer Bauteile.
Der Artikel schließt mit einem Ausblick auf das Motional Feeback, einer Rückkopplungssteuerung, die einige Jahre später von Philips in den kultigen aktiven MFB-Lautsprechern genutzt wurde. Übrigens veröffentlichte Elektor Mitte der 70er und Anfang der 80er Jahre seine eigenen Versionen von MFB, ebenfalls mit großem Erfolg.
Röhren/Transistor-Hybride (Teil 1)
Obwohl sich die jeweiligen Fans angeblich hassen, können Röhren und Transistoren in einer Schaltung gemischt werden und perfekte Ergebnisse liefern. Schauen Sie einfach in ein Tektronix-Oszilloskop aus den 1960er Jahren oder sogar in einen Gitarrenverstärker aus den 1980ern: Sie werden einige wirklich perfekte „Hybride“ finden, die das Beste aus beiden Welten vereinen.
Wenn Audiopuristen eine saubere, stabile Gleichspannung an ihren Röhrenglühwendeln statt „etwas Wechselstrom“ wünschen, kann ein Germaniumtransistor die richtige Wahl sein. In der Ausgabe 1962-9 wird ein großer, fetter 2N555-Leistungstransistor vorgeschlagen, der von einer Zenerdiode in Schach gehalten wird, um für eine unverfälschte Versorgungsgleichspannung von 6,3 V für eine oder mehrere Röhrenwendel zu sorgen, die insgesamt bis zu 1,2 A ziehen. Sie erinnern sich doch, dass an Germanium-Leistungstransistoren bei voller Vorspannung nur 0,15...0,2 V abfallen, nicht wahr?
Röhren/Transistor-Hybride (Teil 2)
Audio erwies sich als ein guter Bereich der Elektronik, um Transistoren und Röhren miteinander zu verbinden, was viele angehende Ingenieure ins Halbleiterlager brachte und ihre „Glüh-FETs“ zumindest für ein paar Jahrzehnte in den Laborschrank verbannte. Hier lässt Bob und seine Crew einen TF65-Germaniumtransistor (!) die kleinen Signale verarbeiten, während die gute alte ECC83-Triode die Phasentrennung vornimmt und an ihrer Anode und Kathode genügend Spannungshub erzeugt, um ein Paar Leistungsröhren wie die EL84 zu betreiben. Beide Geräte arbeiten an ihren komfortablen Versorgungsspannungen. Der Transistor ist der Gewinner in Puncto Gewicht und Leistungseffizienz. Der Grund dafür ist ein Röhrenelement, das im Schaltplan nicht gezeigt wird - können Sie erraten, welches?
Geht es noch billiger? - Es geht!
Ein (bis heute) immer wiederkehrendes Narrativ in Elektor ist der arme Bastler, der von der Industrie hinters Licht geführt werden soll, aber dem Establishment stets ein Schnippchen schlagen kann. Die Profis der Branche behaupten in ihren Elfenbeintürmen, dass ihre Bauteile so gut und so neu sind, dass sie... (Trommelwirbel) teuer und nur schwer erhältlich sind. Solche Behauptungen waren für die niederländischen Hobbyisten ein gefundenes Fressen. So enthielten seit den ersten Ausgaben Electronica wereld und Elektuur Dutzende von Artikeln der Art „XYZ für Arme“ oder „Preiswertester XYZ aller Zeiten" oder „Ersatz-XYZ“. Diese Artikel waren aus offensichtlichen Gründen sehr erfolgreich: Niemand hatte Geld, und der Maker konnte seinen Verstand unter Beweis stellen, indem er - vermeintlich - die Profis schlug.
In einigen Fällen war das kostengünstige Äquivalent eines exotischen Bauteils doch ziemlich nützlich, da es half, das Funktionsprinzip zu verstehen. Hier zeige ich Ihnen die in der Ausgabe 1965-12 „elektuurisierte“ pnpn-Diode, die nur einen Bruchteil des Originals von zum Beispiel Fairchild kostet. Hört, hört!
Wenn Sie nun denken, Sie könnten einfach irgendeinen alten pnp- und npn-Transistor zusammenschalten, um den Effekt einer echten pnpn-Diode (1a) nachzuahmen, werden Sie feststellen, dass die Schaltung in einem Zustand stecken bleibt und nicht wie die echte Diode automatisch umschaltet. Also fügte Elektuur nur einen Widerstand als eine Art Rückkopplung hinzu und voilà, es funktionierte! Wirklich? Das „Äquivalent“ (1b) funktioniert zwar, aber nur sehr langsam mit schwerwiegenden Fehlern in den Fluss- und Sperrströmen zwischen Anode und Kathode. Der kleine Artikel hat jedoch seine Aufgabe erfüllt, einerseits die Neugier zu befriedigen und zum aktiven Denken und Experimentieren anzuregen, andererseits zu unterstellen, dass das alles viel zu teuer ist und dass die Amerikaner ohnehin nur Angeber sind!
Hinweis der Redaktion: Mehr über Elektronik
Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Sonderausgabe von Elektor vom November 2021. Die Ausgabe, die 60 Jahre Elektronik und Elektor feiert, enthält ausführliche Artikel und Interviews über viele der wichtigsten Innovationen im Elektronikbereich, die die Branche seit der Gründung von Elektor im Jahr 1961 verändert haben.