Das Coronavirus deckt derzeit gnadenlos die Schwächen der extrem globalisierten Elektronik-Industrie auf. Die Folge seiner weltweiten Ausbreitung ist gleichzeitig ein dringender Weckruf, der unserer Branche zum Überdenken etablierter Praktiken zwingt. Schon früh wurde klar, dass die modernen Lieferketten nicht robust sind. Als der Strom der Containerschiffe mit chinesischer Elektronik ins Stocken geriet, wurde schmerzhaft deutlich, was eigentlich längst klar war: Die große Abhängigkeit von chinesischer Produktion und Produkten aus Fernost macht die europäische Industrie verwundbar.
 
Die europäische Elektronik-Industrie muss sich selbst kritisch fragen, welche Lehren aus dieser Krise gezogen werden können, um unsere Branche zukunftsfähig zu machen? Elektor stellt sich dieser Herausforderung: In den kommenden Ausgaben werden wir beschreiben, wie die Branche derzeit funktioniert, und überlegen, was sich zukünftig ändern muss. Wir werden Fälle aus der Praxis analysieren und über alternative Arbeitsweisen nachdenken. Wir werden die Fülle an Gründen beleuchten, warum „business as usual“ nicht mehr trägt.
 
Die Auswirkungen des Coronavirus offenbaren die dominierende Stellung Chinas. Aber die verwundbaren Versorgungspfade sind nicht das einzige Problem. Europa übergibt die Entwicklung und Produktion von Elektronik zunehmend an die Vereinigten Staaten und an China. Dies ist nicht nur für die europäische Industrie selbst, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt von Nachteil. Selbst die Europäische Kommission fühlt sich mittlerweile der technologischen Souveränität verpflichtet: der Fähigkeit, eigene Technologie zu kreieren und zu nutzen. Die Kommission argumentiert hierbei mit Aspekten der europäischen Sicherheit und dem Wirtschaftswachstum in der EU.
 
Ein dritter Aspekt ist der Schutz europäischer Werte. Die europäische Industrie ist an viele Umweltauflagen, Arbeitnehmerrechte, Sicherheitsvorschriften und viele weitere Gesetze und Vorschriften gebunden. Für uns Europäer sind eine faire Bezahlung und die Vermeidung von Umweltverschmutzung wichtige Werte. Diese Punkte tragen dazu bei, dass europäische Produkte deutlich teurer sind als Massenprodukte aus China. Doch wenn wir von hehren Werten nur reden oder sie zwar gesetzlich verankern und dann doch aus pekuniären Gründen auf China setzen, untergraben wir unser Wertesystem.
 
Aus diesen und vielen anderen Gründen ist es an der Zeit, einen kritischen Blick auf unsere Branche zu werfen. Veränderungen können nicht nur von der Branche selbst herbeigeführt werden. Regierungen und Verbraucher werden auch verstehen müssen, dass „billig“ nicht länger die wichtigste Erwägung bei Kauf und Verkauf sein kann. Wenn wir unsere Kräfte vereinen, können wir eine überzeugende Geschichte in die Welt bringen. Bei Elektor beginnen wir diese Diskussion. Wir laden Sie herzlich ein, daran teilzunehmen!