Recruiting 2021 – Habt ihr ein Match?
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“Nennen Sie mir Ihre größten Stärken?“, „Was sind Ihre 3 größten Schwächen?“, solche und ähnliche Fragen sind weiterhin verbreiteter Standard in der Welt der Vorstellungsgespräche. Dabei hat sich diese Welt allerdings in den letzten Jahren weitergedreht. Die Zielgruppe Generation Z (ca. 1998 – 2012) hat andere Lebensvisionen und Wertvorstellungen. Kostenloser Kaffee ist kein überzeugendes Benefit mehr. Wer jetzt noch junge Talente auf sich aufmerksam machen möchte, muss bereits bei der Bewerbersuche beginnen. Doch was genau hat sich verändert und wie passt man seine HR-Strategie darauf an? Samuel Pemsel (Gründer von SharpenMarketing) lässt uns hinter die Kulissen der Arbeitnehmersuche bei jungen Talenten blicken.
Shenja Panik (Elektor): Erzähl uns doch kurz etwas über dich und dein Unternehmen. Wo steht ihr gerade?
Samuel Pemsel: Aktuell habe ich gerade meine Vorabiklausuren geschrieben und bald stehen auch die Abiturklausuren an. Beruflich hat es bei mir mit 15 Jahren begonnen. Im Rahmen eines fast elfmonatigen Prozesses habe ich vor dem Amtsgericht zu Düsseldorf meine uneingeschränkte Geschäftstüchtigkeit erstritten. Dadurch konnte ich mein Unternehmen SharpenMarketing gründen. Wir sind ein junges Team zwischen 17 und 27. Wir verbinden zukunftsorientierte mittelständische Unternehmen mit jungen Talenten. Wir verstehen, wie die jungen Leute ticken, und können aus der Zielgruppe heraus Recruiting am besten in dieselbe Zielgruppe hineintragen. Wir passen Recruiting an die Zielgruppe und, vor allem, an die Zeit an. Das ist unser USP.
Panik: Du sprichst bereits von der „neuen Zeit“. Wir leben in einer Ära von Schlagworten wie „New Work“, „Work 2.0“, „Generation Z“. Was kann das für die HR-Strategie von Unternehmen in der Elektrotechnikbranche bedeuten? Was muss, deiner Meinung nach, bis 2025 passieren?
Pemsel: Ein wichtiger Punkt ist die Anpassungsfähigkeit der Personalabteilungen an die Zukunft. Im Moment wird HR oft sehr stiefmütterlich behandelt. Natürlich ist das auch abhängig von der Größe des Unternehmens. Aber die HR Abteilungen sind oft nur Mittel zum Zweck. Dabei ist das der komplett falsche Ansatz. Auch wenn Computer immer mehr Arbeit abnehmen, kann kein Unternehmen ohne das Humankapital bestehen.
Ein zweiter wichtiger Aspekt ist die Denkweise. Die Globalisierung und Digitalisierung eröffnet ganz neue Möglichkeiten des Recruitings. Hier heißt mutig zu sein und neue Wege zu beschreiten. Die Generation Z tritt jetzt gerade in den Arbeitsmarkt ein. Es gibt also keinen besseren Zeitpunkt, seine HR-Prozesse zu modernisieren.
Panik: Wenn deine Kunden zu dir kommen. Was ist das erste, dass du allen sagst?
Pemsel: Junge Talente zu gewinnen muss nicht schwer sein. Um sich der jungen Zielgruppe anzupassen, müssen Recruitingabteilungen nicht von Grund auf, wie von vielen vermutet, umgekrempelt werden. Ein Unternehmen lebt davon, dass verschiedene Generationen miteinander zusammenarbeiten. Erfahrung und junger Drive müssen Hand in Hand gehen.
Und sehr wichtig ist: es gibt nicht die Generation Z. Die richtige Recruitingplattform hängt von Faktoren wie Unternehmensbranche, -größe aber vor allem auch Jobposition ab. Eine Werkstudentenstelle für eine Großkanzlei ist eventuell besser auf LinkedIn aufgehoben, eine visuellere Stelle wie Grafikdesign könnte hingegen eher auf Instagram oder Pinterest die richtige Zielgruppe treffen. Kurz gesagt, muss sich der Recruiter die folgenden drei Fragen stellen: Wer ist meine Zielgruppe? Welche Aufgaben muss meine Zielgruppe lösen? Wo finde ich diese Zielgruppe am ehesten? Das kann LinkedIn sein, aber auch Instagram, Twitch oder eben auch Snapchat.
Panik: Kannst du uns etwas mehr über die Zielgruppe „Junge Talents“ erzählen? Welchen Stellenwert nimmt ein hohes Gehalt versus nachhaltige Ziele des Unternehmens ein?
Pemsel: Das Schlagwort an dieser Stelle ist „Cultural Fit“. Gehalt ist immer noch ein enorm wichtiger Faktor. Aber eben auch nicht mehr an der Spitze. Geringeres Gehalt lässt sich sehr gut mit anderen Benefits und Faktoren ausgleichen . Die Arbeitsatmosphäre und der Spaß an der Arbeit, Work-Life-Balance aber auch die Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit und die eigenen Entwicklungschancen gewinnen an Bedeutung. Bin ich bloß eine Arbeitskraft oder werde ich als Mensch mit eigenen Ideen und eigenen Wachstumschancen gesehen . Zusammenfassend muss man sagen: Die Generation Z ist mehr oder weniger ohne finanzielle Sorgen aufgewachsen. Sie ist es also gewohnt, eigene Wertmaßstäbe außerhalb des Gehaltes anzusetzen. Die zentrale Frage, die sich junge Talente bei der Arbeitssuche stellen, ist: Ist es mir das wert?
Panik: Auch in der Elektrotechnikbranche herrscht durch Fachkräftemangel natürlich ein hoher Konkurrenzdruck. Es gibt Blauwale und kleine Guppys. Können kleine Unternehmen mit nur wenig Budget bei der Mitarbeitersuche überhaupt gegen Großkonzerne gewinnen? Was wollen die Talents von Morgen?
Pemsel: Mittelständische Unternehmen müssen nicht nur mit mittelständischen Unternehmen konkurrieren, sondern auch mit Global Playern. Und die können natürlich ganz andere Assets und Benefits bieten als KMU. Da hilft kein kostenloser Kaffee oder wöchentlicher Obstkorb. Mittelständler müssen sich davon lösen und kreativ überlegen. Das heißt Trends erkennen und darauf aufspringen. Firmen müssen sich überlegen, welches Wertesystem sie haben und welches Wertesystem sie bei neuen jungen Angestellten suchen. Und genau damit kann man Sie dann catchen.
Panik: Dein Unternehmen SharpenMarketing besteht neben einigen Festangestellten aus einem Pool an Freelancern. Was ist deine spontane Einschätzung für die weltweite Community der Pro-Maker und Heimdesigner? Geht die Entwicklung eher hin zur Arbeit als Freelancer in eigenen Heimlaboren oder wird die Mehrheit doch nach der Sicherheit eines Angestelltenverhältnisses suchen?
Pemsel: Es gibt für beides Vor- und Nachteile. Gerade COVID-19 hat gezeigt, welche Kriterien für jeden Einzelnen besonders wichtig sind. Sei es nun schnell Geld zu verdienen und die Sicherheit oder die Selbstverwirklichung als Freelancer oder Unternehmer. In der breiten Masse der Generation Z wird die Sicherheit eines Angestelltenverhältnisses präferiert. Das gilt ebenso für die Elektrotechnikbranche. Das hat auch viel damit zu tun welchen Stellenwert die Arbeit bei jedem einzelnen Mitarbeiter einnimmt. Der Wunsch nach Unternehmertum und Freelancertätigkeiten wächst, dennoch nur die Wenigsten trauen sich diesen Schritt zu gehen.
Panik: In Coronazeiten steigt die Quote der Arbeitslosen. Und gleichzeitig suchen Unternehmen verzweifelt nach qualifizierten Fachkräften. Wie kommt es zu diesem Ungleichgewicht? Müsste es nicht gerade jetzt sehr einfach sein, neue Mitarbeiter zu finden?
Pemsel: Wir bei SharpenMarketing haben immer wieder das Gefühl, dass Unternehmen Ihren Recruitingprozess unnötig verkomplizieren. Sind An- und Motivationsschreiben wirklich notwendig? Welche Skills muss das neue Talent für den Job wirklich haben? Unternehmen sollten aufhören, unbedingt das perfect talent zu suchen und besser nach einem matching talent Ausschau halten. Unternehmen haben oft recht hohe Ansprüche, die mit der späteren Aufgabenstellung nicht unbedingt korrelieren. Meine Hypothese ist: Entweder müssen Unternehmen überhöhte Erwartungen, die nicht dem Arbeitsalltag entsprechen werden, runterschrauben oder ihre Benefits dementsprechend anpassen. Aber das machen die wenigstens.
Panik: Was können Unternehmen also ganz konkret tun?
Pemsel: Oft ist es der Respekt der Bewerber vor übermäßig komplizierten Aufgaben- und Anforderungslisten in Stellenangeboten. Die Hürde, sich zu bewerben, ist in manchen Fällen zu hoch angesetzt und schreckt ab. Gerade die Motivation von Bewerbern lässt sich in einem persönlichen Gespräch viel besser erkennen. Mein erster Tipp für Unternehmen auf Arbeitnehmersuche ist: Stellt auf Basis des Wertesystems ein, nicht auf Basis der Skills. Denn Skills lassen sich erlernen.
Mein zweiter Tipp ist nochmal: Neue Wege bei der Arbeitnehmersuche gehen. Es gilt herauszufinden, wer die Zielgruppe ist und in welchen Netzwerken diese sich befindet. Unternehmen müssen merkwürdig sein – also würdig bemerkt und gemerkt zu werden.
Panik: Du sprichst vom Matchen. Ist Recruiting von morgen also nichts anderes als eine Datingapp?
Pemsel: Genau das ist es in Wirklichkeit. Beide Parteien versuchen herauszufinden, wie gut sie zueinander passen. Denn im modernen Recruitingprozess steht, wie im Privatleben, der Fokus auf dem Credo: Es muss zusammenpassen – und eventuell kommt von uns in Zukunft auch noch das ein oder andere Produkt, welches genau diesen Prozess stark vereinfachen könnte.
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